Das geplante europäische Lieferkettengesetz – spürbare Ausweitung der Sorgfaltspflichten

Das geplante europäische Lieferkettengesetz – spürbare Ausweitung der Sorgfaltspflichten
1.4.2022
Artikelübersicht

Die Europäische Kommission hat am 23. Februar 2022 einen Richtlinienvorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz veröffentlicht, der deutlich über das ab dem 1. Januar 2023 geltende deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hinausgeht. Der Vorschlag zielt darauf ab, ein nachhaltiges und verantwortungsvolles unternehmerisches Verhalten in allen globalen Wertschöpfungsketten zu fördern. Unternehmen sollen künftig verpflichtet werden, negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt in ihrer Geschäftstätigkeit zu ermitteln, zu vermeiden, abzumildern und abzustellen.

Es geht um Kinderarbeit, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen, Löhne weit unter dem Existenzminimum, lebensgefährliche Sicherheitsstandards oder den Umgang mit giftigen Stoffen und nicht zuletzt um den Umweltschutz. Die Vermeidung menschenverachtender Arbeitsverhältnisse gewinnt immer mehr an Bedeutung.

Der wesentliche Unterschied des EU-Entwurfs besteht darin, dass bestimmte Unternehmen verpflichtet sein werden sollen, ihre komplette Lieferkette, also direkte sowie indirekte Zulieferer, zu überprüfen. Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hingegen betrifft nur direkte Zulieferer.

Die Richtlinie gilt für folgende EU-Unternehmen:

Gruppe 1: Unternehmen mit mindestens 500 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mindestens 150 Mio. Euro

Gruppe 2: kleinere Unternehmen in der EU mit beschränkter Haftung ab 250 Beschäftigten, die ihren weltweiten Nettoumsatz von über 40 Mio. Euro, zumindest zur Hälfte in einem der benannten Hochrisiko-Sektoren erwirtschaften:

  • Textil- und Lederindustrie
  • Land- und Forstwirtschaft
  • Nahrungsmittelproduktion
  • Gewinnung von Rohstoffen
  • Verarbeitung von metallischen und nicht-metallischen Erzeugnissen
  • Großhandel mit mineralischen Rohstoffen

Die Pflichten aus dieser Richtlinie sollen für die Gruppe 1 zwei Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie wirksam werden. Für Unternehmen der Gruppe 2 wird diese Frist auf vier Jahre erweitert.

Außerdem soll die Richtlinie auch für die in der EU tätigen Drittstaaten gelten, die einen Umsatz im Umfang von Gruppe 1 und 2 innerhalb der EU erwirtschaften.

Das EU-Lieferkettengesetz möchte damit folgende Ziele erreichen:

  • Fairer Handel
  • Höhere Sorgfaltspflichten: Überprüfung über von Herkunft, Herstellungsprozess und Folgen für Klima und Umwelt
  • Verbesserung des Risikomanagements durch frühzeitige Erkennung von Problemen und Risiken
  • Rechtssicherheit für Unternehmen und Interessengruppen bzgl. Verhalten und Haftung
  • Rechenschaftspflicht der Unternehmen für nachteilige Auswirkungen
  • Verbesserung des Zugangs zu Rechtsbehelfen für diejenigen, die von Menschenrechtsverletzungen betroffen sind und unter den Umweltbelastungen des Unternehmens leiden
  • Erweiterung der „Due Diligence“ um die umfassenden Sorgfaltspflichten

Die EU-Kommission sieht vor, dass Unternehmen als integralen Bestandteil ihrer Compliance-Politik ein Due-Diligence-System einrichten, um die Einhaltung der Sorgfaltspflicht zu dokumentieren. So sollen bei allen unternehmerischen Entscheidungen die Folgen für Menschenrechte, Klimawandel und Umwelt berücksichtigt werden. Die in der Richtlinie vorgesehenen Sorgfaltspflichten umfassend eine anlasslose Überwachung der gesamten Wertschöpfungskette. Geschädigte Arbeitnehmer/innen sollen bei Nichteinhaltung der Regeln die Möglichkeit haben, vor zuständigen Gerichten eine zivilrechtliche Haftung geltend zu machen. Damit kommt eine umfangreiche Prüf- und Dokumentationspflicht auf die Unternehmen zu.

Geplante Vorschriften

  • Umsetzung der Sorgfaltspflicht wird zum integralen Bestandteil der Unternehmenspolitik
  • Ermittlung der tatsächlichen oder potenziellen negativen Auswirkungen der Lieferkette auf Menschenrechte und Umwelt
  • Verhinderung oder Abschwächung der potenziellen Auswirkungen
  • Unterbindung der tatsächlichen Auswirkungen oder Reduzierung auf ein Minimum
  • Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens
  • Kontrolle der Wirksamkeit der Strategien und Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht
  • Öffentliche Kommunikation über die Wahrnehmung der Sorgfaltspflicht

Erfolge bzw. Verstöße gegen die Sorgfaltspflicht sollen auf die variable Vergütung von Führungskräften Einfluss nehmen.

Zusätzlich sind Unternehmen der Gruppe 1 verpflichtet, in ihrer Geschäftsstrategie die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C im Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen zu berücksichtigen.

Die von den Mitgliedstaaten benannten nationalen Behörden sollen für die Beaufsichtigung der Unternehmen zuständig sein und bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten ein Bußgeld verhängen, das sich nach dem Umsatz des jeweiligen Unternehmens richtet. Im Falle von Verstößen ist außerdem eine zivilrechtliche Haftung vorgesehen.

Fazit

Mit dem neuen EU-Lieferketten-Entwurf werden die Maßstäbe fairen Handels neu definiert. Keine Kinderarbeit, keine Zwangsarbeit und keine Umweltverschmutzung. Ein wichtiger Schritt in Richtung gerechter und nachhaltiger Wirtschaft. Jedoch kommen mit der Umsetzung des Richtlinienentwurfs vor allem auf den Mittelstand schwerwiegende Auswirkungen zu. Umso wichtiger ist nun rechtzeitig zu Handeln und die geplanten Maßnahmen ganzheitlich im Unternehmen zu integrieren.

Im nächsten Schritt verhandeln EU-Parlament und EU-Rat über das Gesetz. Sollten beide Organe der Richtlinie zustimmen, haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, um die Richtlinie in innerstaatliches Recht umzusetzen. Für Deutschland bedeute dies, ihr eigenes Gesetz deutlich zu verschärfen.