EU-Verordnung zur Förderung entwaldungsfreier Lieferketten: Umsetzung und Herausforderungen

EU-Verordnung zur Förderung entwaldungsfreier Lieferketten: Umsetzung und Herausforderungen
16.7.2024
Artikelübersicht

Zwischen 1990 und 2020 sind weltweit bereits etwa 420 Millionen Hektar Wald verlorengegangen, was etwa 10 % der verbleibenden weltweiten Waldflächen ausmacht. Um dem Waldverlust entgegenzuwirken, hat die EU-Kommission die EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) eingeführt. Diese neue Verordnung soll das Risiko minimieren, dass Produkte auf den EU-Markt gelangen, die zu Beginn der Lieferkette mit Entwaldung, Waldschädigung oder der illegalen Vertreibung der lokalen Bevölkerung verbunden sind. Für Unternehmen bedeutet dies detaillierte Informationsanforderungen an ihre Lieferkette und neue Maßnahmen zur Risikominderung. Nach unserer ersten Einführung in das Thema (hier) geht dieser Artikel nun tiefer auf die genauen Pflichten, Herausforderungen und Erleichterungen ein.

Welche Unternehmen sind betroffen und ab wann?

Nicht-KMU-Marktteilnehmer und Händler müssen bis zum 30. Dezember 2024 ihre globalen von der EUDR geforderten Sorgfaltspflichten umsetzen. Für KMU-Marktteilnehmer gilt eine verlängerte Frist bis zum 30. Juni 2025.

Die EU Deforestation Regulation (EUDR) zielt darauf ab, verschiedene Akteure entlang der Lieferkette zu regulieren, die bestimmte Produkte aus einem Drittland auf den EU-Markt bringen. Dies betrifft Importeure, die die Produkte Holz(-kohle), Rinder/Rindprodukte, Kautschuk(-produkte), Kakao, Kaffee, Palmöl(-derivate)und Soja aus Drittstaaten einführen. Miteinbezogen werden auch bestimmte Produkte, die die genannten Rohstoffe enthalten, mit ihnen gefüttert werden oder aus ihnen hergestellt werden – wie zum Beispiel Leder oder Schokolade. Ebenfalls betroffen sind Marktteilnehmer innerhalb der EU, die diese Rohstoffe weiterverarbeiten sowie Händler, die sie auf dem EU-Markt vertreiben. Für KMU-Händler gilt eine Vereinfachung: Sie müssen lediglich Informationen zur Entwaldungsfreiheit der Produkte sammeln und nachweisen, ohne z.B. die genauen Anforderungen an die Geolokalisierung zu erfüllen.

Das bedeutet, dass sowohl ein kleines deutsches Unternehmen, das rohe Kakaobohnen aus Ecuador importiert, diese weiterverarbeitet und dann als Erzeugnis auf dem EU-Markt vertreibt, als auch ein europäischer Großhändler, der Holztische aus verschiedenen Ländern der Welt importiert und in der EU vertreibt, von der EUDR betroffen sind. Beide Unternehmen sind verpflichtet, ein umfassendes Sorgfaltspflichtverfahren zu implementieren, um Entwaldung entlang ihrer Lieferketten zu minimieren.

Welche Prozesse müssen durchlaufen werden?

Zunächst müssen Unternehmen Sorgfaltspflichtenregelungen einführen. Das bedeutet, dass sie einen Rahmen von Verfahren und Maßnahmen etablieren müssen, um sicherzustellen, dass die relevanten Erzeugnisse den Anforderungen des Artikels 3 der EUDR entsprechen. Dies umfasst die Gewährleistung, dass die Produkteentwaldungsfrei sind, gemäß den geltenden Rechtsvorschriften des Erzeugerlands produziert wurden und eine entsprechende Sorgfaltserklärung vorliegt. Des Weiteren müssen sie detaillierte Informationen über die relevanten Erzeugnisse sammeln, einschließlich Beschreibungen, Mengen, Erzeugerland und Geolokalisierung aller Grundstücke, auf denen die Rohstoffe erzeugt wurden. Ebenso sind Daten zu den Lieferanten und den belieferten Parteien zu erfassen.

Eine weitere wesentliche Voraussetzung ist die Durchführung einer Risikobewertung anhand von 14 Kriterien:

a) Zuordnung des Risikos zum Erzeugerland oder dessen Landesteilen.

b) Präsenz von Wäldern im Erzeugerland oder dessen Landesteilen.

c) Präsenz von indigenen Völkern im Erzeugerland oder dessen Landesteilen.

d) Konsultation und Kooperation mit indigenen Völkern nach Treu und Glauben.

e) Ansprüche indigener Völker auf Nutzung oder Eigentumsverhältnisse basierend auf objektiven Informationen.

f) Verbreitung von Entwaldung oder Waldschädigung im Erzeugerland oder dessen Landesteilen.

g) Quelle, Zuverlässigkeit und Gültigkeit der Informationen gemäß Artikel 9 Absatz 1.

h) Bedenken bezüglich des Erzeuger- und Ursprungslands, z.B. Korruption, Fälschung von Dokumenten, Menschenrechtsverletzungen.

i) Komplexität der Lieferkette und Verarbeitungsstufe der Erzeugnisse.

j) Risiko der Umgehung der Verordnung oder Vermischung mit Erzeugnissen unbekannten Ursprungs.

k) Schlussfolgerungen der Kommission aus Sachverständigengruppen.

l) Begründete Bedenken und bisherige Verstöße gegen die Verordnung entlang der Lieferkette.

m) Informationen, die darauf hinweisen, dass Erzeugnisse nicht konform sein könnten.

n) Ergänzende Informationen aus Zertifizierungssystemen oder anderen verifizierten Systemen, die von der Kommission anerkannt sind.

Falls die Risikobewertung ein nicht vernachlässigbares Risiko ergibt, müssen Verfahren zur Risikominimierung eingeleitet werden. Ziel ist, die festgestellten Risiken zu reduzieren, um sicherzustellen, dass die Produkte den gesetzlichen Anforderungen entsprechen und entwaldungsfreie Lieferkettenaufrechterhalten werden können.

Große Unternehmen müssen jährlich öffentlich über ihre Sorgfaltspflichten Bericht erstatten.

Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) überwacht in Deutschlandansässige Marktteilnehmer und Händler sowie relevante Erzeugnisse nach einem risikobasierten Ansatz. Dies bedeutet, dass die Kontrollmaßnahmen des BLE entsprechend dem Risiko eingestuft werden, das von den jeweiligen Ländern ausgeht, wie von der EU-Kommission festgelegt. Für Länder mit einem "geringen" Risiko beträgt die Mindestkontrollquote 1 Prozent der betroffenen Unternehmen, während sie für Länder mit "normalem" Risiko auf 3 Prozent und für Länder mit "hohem" Risiko auf 9 Prozent angehoben wird.

Zu den weiteren Aufgaben der BLE zählen die Identifizierung, Behebung und Verhinderung von Verstößen gegen die geltenden Vorschriften. Sie ergreift bei Bedarf vorläufige oder sofortige Maßnahmen und verhängt Sanktionen bei festgestellten Verstößen. Zudem kooperiert die BLE eng mit den Zollbehörden sowie (Zoll-)Behörden anderer EU-Mitgliedstaaten und der Europäischen Kommission, um die Einhaltung der Regulierungen zu gewährleisten und den Schutz der Verbraucherinteressen zu fördern.

Zählen die Sorgfaltspflichten auch für die Wiedereinfuhr in die EU?

Ja. Bei Erzeugnissen, die zuvor aus der EU aus- und nun wieder eingeführt werden, muss der Marktteilnehmer erneut sicherstellen, dass alle Sorgfaltsprozesse durchgeführt werden. Hier können jedoch vorherige Sorgfaltserklärungen (von der Ersteinfuhr in die EU) genutzt werden und so die Arbeit erleichtern.

Inhalt der Sorgfaltserklärung

Der Marktteilnehmer ist verpflichtet, relevante Daten an ein Informationssystem der Kommission zu übermitteln – darunter die Erzeugernummer, den HS-Code sowie die Menge der betreffenden Erzeugnisse. Zusätzlich sind Informationen über das Erzeugerland und die Geolokalisierung der Grundstücke, auf denen die relevanten Rohstoffe erzeugt wurden, erforderlich. Durch die Übermittlung der Sorgfaltserklärung bestätigt der Marktteilnehmer, dass die erforderlichen Sorgfaltspflichten gemäß den geltenden Vorschriften durchgeführt wurden und dass, falls überhaupt, nur ein vernachlässigbares Risiko festgestellt wurde.

Erleichterungen für betroffene Unternehmen

• Ernennung eines Bevollmächtigen möglich: Wenn natürliche Personen oder Kleinstunternehmen z.B. betroffene Produkte erstmalig auf dem EU-Markt einführen, können sie die den nächsten Marktteilnehmer oder Händler in der Lieferkette damit beauftragen, für sie die entsprechenden Sorgfaltserklärung zu erstellen. Hierbei behält die beauftragende natürliche Person bzw. das Kleinstunternehmen jedoch die Verantwortung für die Konformität der Produkte mit der EUDR.

• KMU müssen für Erzeugnisse aus EUDR-relevanten Rohstoffen keine Sorgfaltspflicht erfüllen, wenn für diese bereits durch einen anderen Marktteilnehmer eine Sorgfaltserklärung übermittelt wurde. In diesem Fall benötigen die KMU lediglich die Referenznummer der Sorgfaltserklärung und KMU-Händler dazu die Kontaktdaten ihrer jeweiligen Lieferanten und Kunden.

• Unternehmen, die lediglich Produkte/Rohstoffe aus Ländern/Gebieten mit einer niedrigen Risikoeinstufung (vonseiten des Gesetzgebers) beziehen, sind nur zur Erfassung der Informationen, jedoch nicht zur Risikobewertung und -minderung verpflichtet. Es ist wahrscheinlich, dass EU-Länder unter diese Einstufung fallen werden. Aktuell ist jedoch noch nicht bekannt, welche Gebiete genau als risikoarm gelten werden, da zu Beginn alle Länder der mittleren Risikokategorie „normal“ zugeordnet werden.

• Marktteilnehmer, die bereits unter die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) fallen, müssen keinen separaten Bericht für die EUDR erstellen. Es genügt, wenn sie ihre entwaldungsspezifischen Sorgfaltsinformationen in den jährlich nach CSRD zu erstellenden Nachhaltigkeitsbericht integrieren.

• Gut zu wissen: Verpackungen aus Holz, die zum Schutz, zum Tragen oder zum Stützen eines anderen Erzeugnisses in Verkehr gebracht werden, fallen nicht unter die Verordnung.

Schwierigkeiten bei Verständnis und Umsetzung der Verordnung

Eine der größten Schwierigkeiten besteht darin, dass viele Unternehmen nicht über die notwendigen Geolokalisationsdaten verfügen, um den Ursprung ihrer Rohstoffe zu verifizieren. Dies führt zu Rechtsunsicherheiten sowie hohen Kosten.

Ein weiteres Problem sind unklare Definitionen innerhalb der Verordnung. Produkte wie Kaffee können sowohl als Rohstoff als auch als Erzeugnis gelten, doch die Verordnung unterscheidet nicht klar zwischen diesen Kategorien. Dies führt zu Verwirrung darüber, welche Anforderungen erfüllt werden müssen.

Die unklaren Übergangsfristen stellen eine zusätzliche Herausforderung dar. Beispielsweise ist unklar, wie Rohstoffe, die vor dem 31.12.2024 importiert, aber erst später verarbeitet werden, behandelt werden sollen. Dies schafft Unsicherheit bei Unternehmen darüber, wie sie ihre bestehenden Lagerbestände handhaben sollen, und erhöht das Risiko von wirtschaftlichen Verlusten, wenn Waren blockiert oder zurückgewiesen werden.

Unternehmenspraxis

Ein Beispiel für Unternehmen, die bereits aufwändige Prozesse zur Dokumentation von Entwaldungsfreiheit eingeführt haben, ist Nestlé. Zur Überwachung und Identifizierung gerodeter Waldflächen nutzt Nestlé das Satellitensystem „Starling“. Die gesamte Lieferkette wird kartiert, um die Herkunft der Rohstoffe nachverfolgen zu können. Zertifizierungen und Vor-Ort-Überprüfungen werden durchgeführt, um sicherzustellen, dass Nachhaltigkeitsstandards eingehalten werden. Nestlé arbeitet eng mit Lieferanten und Kleinbauernzusammen, um entwaldungsfreie Praktiken zu fördern und unterstützt Kleinbauern in Produktionsländern bei der Umsetzung dieser Standards.

Fazit

Die erfolgreiche Einhaltung der EU-Entwaldungsverordnung erfordert von Unternehmen eine präzise Implementierung entsprechender Maßnahmen. Die Regeln müssen nahtlos in die betrieblichen Abläufe integriert werden, um den Anforderungen gerecht zu werden. Dazu zählen die Prüfung und Anpassung der Lieferketten sowie die gewissenhafte Beschaffung von Produkten und Rohstoffen. Unternehmen sind dazu aufgerufen, Transparenz entlang der Lieferkette sicherzustellen und Informationen über die Herkunft ihrer Produkte bereitzustellen.

Mit einer modernen technologischen Infrastruktur können Unternehmen nicht nur ihre Compliance-Anforderungen erfüllen, sondern auch führend in Bezug auf Rechtskonformität agieren.

 

Tipp: Für alle, bei denen jetzt noch Fragen offen sind: Auf der Website der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung sind hier FAQs veröffentlicht.